Kurzweiliger Einblick in die Geschichte von Oberkleen und Niederkleen

Oberkleen (ikr). Ein kräftiger Hauch von Geschichte wehte durch das Evangelische Gemeindehaus Oberkleen am vergangenen Samstagabend: Der Festausschuss von „Cleeheim 774“, dem Motto der diesjährigen 1250-Jahr-Feier von Ober- und Niederkleen, hatte zu einem Historischen Abend und der Buchvorstellung „Cleeheim 774“ eingeladen. Es war einer der Höhepunkte der Feierlichkeiten, die über das ganze Jahr verteilt sind. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, auch aus Nachbardörfern kamen Besucher. Sie alle genossen in harmonisch-familiärer Atmosphäre einen sehr besonderen Abend. „Ich hätte noch stundenlang zuhören können“, brachte ein Besucher die einhellige Meinung auf den Punkt.

Das Publikum erwartete eine kurzweilige Mischung aus Bildung, Unterhaltung und einem tiefen, mal sehr berührenden, mal humorvollen Einblick in die Geschichte der beiden Dörfer. Den Auftakt machte Martin Hanika mit der Vorstellung des Jubiläumsbuches „Cleeheim 774“. Er ist der Herausgeber des etwa 200 Seiten umfassenden, mit vielen historischen Fotos reich bebilderten Werkes. „Wir haben ein schönes Buch fortgeschrieben“, sagte er. Im ersten Teil des Buches wird der vollständige Inhalt der Festschrift aus dem Jahr 1974, die anlässlich der 1200-Jahr-Feier verfasst wurde, neu aufgelegt. Sie war von dem inzwischen verstorbenen Karl H. Glaum, Studiendirektor an der Goetheschule in Wetzlar, geschrieben worden. Der zweite, neue Teil dokumentiert die Entwicklung der letzten 50 Jahre seit der Veröffentlichung der Festschrift im Jahr 1974. Von Veränderungen im Arbeitsleben, in der Dorfgemeinschaft, bei Vereinen, dem Freizeitverhalten, Wohnen bis hin zu den Traditionen und dem Dialekt – das Buch ist ein lebendiges Zeugnis vergangener Zeiten. Hier sind die Autoren neben Martin Hanika, der auch das Konzept erstellt hat, Doris Müller-Heinz und Hans-Joachim Röhrig. Gerhard Stahl war für das Layout und die fertige Druckvorlage verantwortlich. Hanika dankte diesem Team, zu dem auch Barbara Keden als Fotografin gehörte, ausdrücklich.

Martin Hanika, Jahrgang 1954, erzählte als gebürtiger Oberkleener sehr lebendig auch von seinen persönlichen Erinnerungen an das Dorfleben in der Nachkriegszeit und den Veränderungen im Dorf und seiner Umgebung. „Die Kleenheimer Dörfer sind nicht Bauerndörfer geblieben… So sind die vergangenen Jahrzehnte auch eine Zeit des Verlustes einer Identität innerhalb einer oder zwei Generationen“, erinnerte er. Ihn habe bei der Zusammenstellung des Buches am meisten die „gewaltige Integrations- und Gemeinschaftsleistung“ in den beiden Dörfern beeindruckt: „Die größte war am Anfang, gleich nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Denn da kamen in das 557 Einwohner zählende Dorf Niederkleen innerhalb kurzer Zeit über 400 Vertriebene aus dem Eger- und Böhmerland. In Oberkleen kamen bei zuvor 534 Einwohnern über 200 neue hinzu. „Vorher überhaupt nicht vorstellbar und heute auch nicht mehr. Das Dorf, die Gemeinschaft, hat sie alle aufgenommen, zum Beispiel im Spielmannszug und im Sport. Das ist seine Stärke, in der gemeinsamen Freude und auch in der Trauer.“ Hanika betonte zum Schluss: „Dieses gemeinschaftliche Tun und das menschliche Miteinander, sie sind die eigentliche DNA der Dörfer und in hohem Maße identitätsstiftend. Und das wird bleiben, auch in Zukunft.“ Nur der Dialekt drohe leider auszusterben. 80 Bücher wurden an diesem Abend direkt verkauft.

Marius Reusch, diesmal nicht in seiner Funktion als Langgönser Bürgermeister, sondern als Oberkleener und studierter Historiker, moderierte eine Gesprächsrunde, an der drei angesehene Heimatforscher aus der Region teilnahmen: Helmut Serowy aus Brandoberndorf, Werner Reusch aus Ebersgöns und Dr. Clemens Ruppert aus Vollnkirchen. Gemeinsam nahmen sie die Zuhörer mit auf einen faszinierenden Streifzug durch 1250 Jahre Geschichte der „Cleheimer Marca“, von der frühesten Aufzeichnung im weltberühmten „Lorscher Kodex“ bis in die Gegenwart. Es ging um territoriale Zugehörigkeiten, Kriege, Brauchtum, Industrialisierung, die Auswanderungswelle im 19. Jahrhundert, die Weltkriege und die Nachkriegszeit, die auch von den in der Region stationierten Amerikanern geprägt war. Dabei sorgte insbesondere Werner Reusch mit einigen amüsanten Anekdoten aus dieser Epoche für Heiterkeit.

„Wir lernen aus diesen 1250 Jahren Geschichte, dass es uns bei allen Schwierigkeiten, Widrigkeiten und auch Unsinnigkeiten unserer heutigen Welt ganz schön gut geht“, bilanzierte der Moderator. „Unser heutiges Leben wäre für die vorausgegangenen Generationen unvorstellbar gewesen“, stellte er fest. Das heutige gesamte Dasein der Menschen, der Dörfer und Landschaft sei das Ergebnis genau dieser jahrhundertelangen Entwicklung. „Und auch wir werden in diesem Sinne irgendwann selbst Geschichte werden.“

Doch es war nicht nur die akademische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die diesen Abend prägte. Die Besucher wurden auch humorvoll unterhalten: Bernd Schindel und Glorieta Vogel aus Ebersgöns strapazierten die Lachmuskeln mit dem Mundart-Sketch „Die Gluck – Soll ich owwer soll ich net“. Zum Schluss schilderte Doris Müller-Heinz aus Niederkleen in persönlichen Worten die Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Jugend, die auch von viel Arbeit und wenig Komfort geprägt war, mit Auszügen aus ihrem Essay „Tagesablauf einer Bauernfamilie“, der im Jubiläumsbuch nachzulesen ist. Musikalisch umrahmten Roland Schmiedel (Piano) und Tomi Wendt (Geige) die Veranstaltung sehr ansprechend. Die Bewirtung oblag dem Förderverein der Evangelischen Kirchengemeinde Oberkleen. Insgesamt war dieser Abend nicht nur ein Ereignis, das die Vergangenheit würdigte, sondern auch ein Moment der Gemeinschaft und des Feierns. Er zeigte, dass die Geschichte der beiden Dörfer nicht nur in historischen Aufzeichnungen lebt, sondern auch in den Herzen und Köpfen der Menschen, die sie würdigen und bewahren.

Bereits kommenden Sonntag, am 5. Mai, steht die nächste Veranstaltung von „Cleeheim 774“ auf dem Programm: Dann lädt Niederkleen ab 12 Uhr zum „Tag der offenen Höfe“ mit großem Rahmenprogramm ein.

Das Jubiläumsbuch kann zum Preis von 19 Euro bei Herbert Röhrich, Tel. 06447 / 6673 oder hier auf der Homepage über das Kontaktformular bestellt werden. Außerdem finden Sie auf allen Veranstaltungen des Cleeheim 774 Jubiläums einen Verkaufsstand, an dem auch das Buch jeweils erworben werden kann.